Senioren erobern die Fitness-Studios

Es geht nicht um Muckis. Auch nicht um Höchstleistungen oder schweißgetränkte T-Shirts. Trotzdem trainiert Edeltraud Linkesch zwei Mal pro Woche in einem Würzburger Fitness-Studio. Diszipliniert, auch wenn draußen die Sonne zum Faulenzen lockt. Mit einem kräftigen Ruck zieht die 68-Jährige die Bügel der Rudermaschine nach hinten. „Fünfzehn.“ Noch zwei Wiederholungen. Sie schnauft, richtet sich auf, spannt die Bauchmuskeln an. „Sechzehn. Siebzehn. Geschafft!“ Linkesch strahlt. Kleine Tropfen glitzern auf ihrer Stirn. Sie quält sich, um beweglich und fit zu bleiben, um etwas für ihre Gesundheit zu tun. „Das Motto, wer rastet, der rostet, kann ich voll unterstreichen“, sagt die Würzburgerin. Alt will sie sich noch lange nicht fühlen. Und damit ist sie längst nicht mehr allein.
Mit 100 Jahren noch Gewichte stemmen?

„Best Ager“ heißen die höheren Semester in der Fitness-Branche. Eine kräftig steigende und lukrative Zielgruppe. Ihr Anteil unter den deutschlandweit 10,6 Millionen Mitgliedern in Fitness-Studios wächst und wächst: Rund 1,33 Millionen Frauen und Männer sind 60 Jahre oder älter, zählt der Arbeitgeberverband deutscher Fitnessanlagen (DSSV). Innerhalb von vier Jahren ist das fast ein Plus von 20 Prozent. Das macht sich auch in der Region bemerkbar.

„Mein ältester Kunde ist 100 Jahre alt“, sagt Fitness-Trainer Hans-Otto Wöhrle. „Das Argument, ich bin schon so alt, das geht nicht mehr, das zählt bei mir nicht.“ In seinem Würzburger Studio gehören die „Best Ager“ zur Hauptzielgruppe. Beim ersten Training wird gemeinsam mit Wöhrle oder einem Mitarbeiter ein Gesundheitscheck gemacht. Danach erhält jeder Sportler seinen individuellen Trainingsplan, meist eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining, und wird in die Geräte eingewiesen. So war es auch bei Edeltraud Linkesch.
Erst einmal den Schweinehund überwinden

Die Würzburger Gästeführerin hat sich, wie sie selbst schmunzelnd zugibt, jahrelang vor dem Besuch im Fitnessstudio gedrückt. Im vergangenen Sommer gab es keine Ausreden mehr: „Der Augenblick, wo ich vor Schmerzen nicht mehr auf das Rad steigen konnte“ gab ihr den entscheidenden Schubs. „Ich dachte, das kann es nicht gewesen sein“, sagt die 68-Jährige. Sie meldete sich im Studio an und begann mit dem Training. Regelmäßig. „Anfangs habe ich schon die Zähne zusammen gebissen“, sagt Linkesch. Muskelkater gehörte zu jedem Besuch dazu. Aber: „Im Dezember waren die Schmerzen weg, und das Radfahren klappte wieder“.

Genau darum geht es laut Experten: Training und Bewegung helfen gerade im Alter, die vielleicht eingeschränkte Mobilität zu verbessern, Muskeln und Kraft aufzubauen oder Rückenschmerzen zu mindern. Zudem wirkt sich Aktivität positiv auf psychische Erkrankungen aus. „Eigentlich ist das regelmäßige Training nicht nur sinnvoll, sondern fast lebenswichtig für den Alltag von Senioren“, sagt der Würzburger Sportwissenschaftler und Sportmediziner Christoph Raschka. Nur: Kann man im Alter überhaupt noch Muskeln aufbauen? Ja, sagt Raschka. Selbst bei Männern und Frauen über 90 Jahren sei es möglich, mit drei Trainingseinheiten pro Woche die Kraft deutlich zu verbessern, habe eine US-Studie ergeben. Nebeneffekt war bei vielen Senioren, dass sie sogar wieder ohne Gehstöcke laufen konnten.
Die „Best Ager“ sind eine lukrative Zielgruppe

Hans-Otto Wöhrle kann das nur bestätigen. Statt den viel zitierten Satz „Bewegung ist Leben“ als Klischee abzutun, hält der Fitness-Trainer ihn schlicht für wahr – und das nicht nur in jungen Jahren. „Ich bin selbst 67. Da weiß man, welche Probleme man in dem Alter hat und kann darauf eingehen.“ Jeden Freitag wird bei ihm Rückenschule angeboten, es gibt Gruppen für Balanceübungen oder auch Spinning für Ältere. Generell, so Wöhrle, bestehe eine Trainingseinheit meist aus einigen Kraftübungen und etwa 20 Minuten Radfahren oder Rudern. „Wir haben auch Kunden, die waren bereits klinisch tot oder haben eine Bypass-Operation hinter sich“, so Wöhrle. Es gehe daher nicht um Höchstleistungen, sondern schlicht um das Mobilbleiben. „Das Ganze muss auch Spaß machen.“ Mancher Senior habe erst Angst vor den Geräten oder komme mit den Einstellungen nicht zurecht. Die Mitarbeiter seien deshalb extra geschult und begleiten ältere Kunden auf Wunsch beim Training. Im Vergleich zu anderen Studios kostet es bei Wöhrle allerdings auch mehr.

Die Senioren bringen der Fitness-Branche viel Geld. Rund 9000 Studios gibt es mittlerweile bundesweit. Große Ketten, teils 24 Stunden geöffnet oder kleine Einzelbetriebe. Die Ausrichtungen variieren. Mit den Trainierenden ab 50 Jahren erwirtschafteten die Studios 2017 laut DSSV einen „wesentlichen Anteil am Gesamtumsatz“ von 5,2 Milliarden Euro. Und für die Zukunft biete diese Altersgruppe „ein noch größeres Potenzial“.
Wichtig ist die individuelle Betreuung für Ältere

Auch ins City-Fitness in Schweinfurt kommen immer mehr ältere Kunden. „Der Seniorenanteil ist bei uns sehr hoch“, bestätigt Inhaberin Birgit Stürmer. Die staatlich geprüfte Fitnesstrainerin hat sich mit ihrem Team darauf eingestellt, arbeitet eng mit Ärzten und Krankenkassen zusammen und bietet Rehasport sowie spezielle Seniorengruppen an. Aber auch zum einfachen Gerätetraining „kommen immer mehr Ältere“. Dabei gehen die Trainer auf gesundheitliche Probleme ein: Wenn etwa die Kondition nicht mehr so gut ist, wird ein Herz-Kreislauf-Training ausgearbeitet. Ist der Rücken versteift und schmerzt, werden die Übungen angepasst. „Unser ältester Kunde ist 89 Jahre alt“, sagt Stürmer. Wichtig für die Älteren sei die enge Betreuung durch einen persönlichen Trainer.

Denn im Vergleich zu jungen Menschen sollte man im Alter anders trainieren, sagt Sportmediziner Christoph Raschka. Vor dem eigentlichen Krafttraining sei Aufwärmen zum Beispiel auf dem Fahrradergometer sinnvoll. Fünf bis zehn Minuten, das reiche. Der Sportwissenschaftler empfiehlt danach jeweils drei Sätze pro Übung und insgesamt nicht länger als eine Stunde Training. Und: Ausreichend Pausen sind wichtig, denn „grundsätzlich dauert die Regeneration bei Älteren länger“. Von maximaler Belastung rät der Experte in jedem Fall ab. Die Verletzungsgefahr sei dabei zu groß.

Es geht auch um das Plaudern und das Miteinander
So sieht es auch Edeltraud Linkesch. „Ich brauche keine ,Mucki-Bude‘“, sagt die Würzburgerin. Sie will sich wohl fühlen. „Es geht auch um das Plaudern, das Lachen, den Austausch mit anderen hier im Studio.“ Dabei entstehe schnell eine Gemeinschaft, ein Miteinander, auch über Generationen hinweg. „Der soziale Aspekt ist sicher wichtig“, sagt Hans-Otto Wöhrle. Und ein kleines bisschen auch die persönlichen Fortschritte. „Es ist schon eine Art Droge für mich geworden“, sagt Edeltraud Linkesch. Wenn sie eine Trainingseinheit verpasst, fehle etwas. Vielleicht will sie sich bald sogar drei Mal pro Woche quälen. Warum sie sich das antut? „Ich möchte noch so lange wie möglich Gästeführerin sein und Gruppen zum Käppele oder zur Festung führen“, sagt die 68-Jährige. „Und dafür brauche ich Beweglichkeit, Ausdauer und vor allem gesunde Beine.“

Quelle: Mainpost